2. Mai 2022
„Damit die heimische Industrie kompetitiv bleiben kann, brauchen wir große biodiverse Solarparks!“
„Damit die heimische Industrie kompetitiv bleiben kann, brauchen wir große biodiverse Solarparks!“- Image

Ist ein rascher Erneuerbaren-Ausbau der einzige Weg aus der Klimakrise? Oder gefährdet der vermehrte Einsatz klimafreundlicher Energiequellen die Netzstabilität und somit auch den Erfolg heimischer Unternehmen? Antworten auf diese und noch viele weitere Fragen lieferten die Teilnehmer*innen auf dem Podium „Industrie in der Energiekrise“.

Während die bisherige Transformation des Energiesystems vorrangig aus klimapolitischen Gründen verfolgt wurde, erhält diese Debatte aufgrund permanent steigender Energiepreise derzeit eine ganz neue Dynamik. Und genau diese Situation macht freilich auch der heimischen Industrie zu schaffen. Nachhaltig hohe Preise im Vergleich zu anderen Industriestandorten beeinflussen schließlich das Wirtschaftswachstum und weitergehend auch die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe. Die Abhängigkeit von Energie-Importen befeuert zudem die Angst möglicher Versorgungsengpässe. Im schlimmsten Fall wären hunderttausende Arbeitsplätze bei befürchteten Produktionsstillständen gefährdet.

Es ist also offensichtlich: Die Zeit des energie- und klimapolitischen Warmlaufens ist vorbei. Nun müssen nachhaltig sinnvolle Lösungen her – wie ein zügiger Erneuerbaren-Ausbau. Regional erzeugter Grünstrom könnte schließlich langfristig für Entlastung sorgen, Unternehmen unabhängig und gleichzeitig auch klimaneutral machen. Wie das gelingen kann und warum vor allem Sonnenstrom eine vielversprechende Antwort auf die aktuelle Energiekrise ist, verrieten die Teilnehmer*innen der Diskussion „Industrie in der Energiekrise“, zu der Die Presse gemeinsam mit dem österreichischen Grünstromerzeuger Enery einlud. Mit dabei: Wolfgang Anzengruber (ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Verbund AG), Christiane von Berg (Regional Economist Northern Europe bei Coface), Jürgen Bauer (Mitglied der Geschäftsleitung Gebrüder Weiss GmbH) und Enery-CEO Richard König. Durch die Diskussion führte Eva Komarek, General Editor for Trend Topics, Styria Media Group AG.

Podiumsdiskussion

Doch welche Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden, um eine Neuausrichtung der Energieversorgung sicher und rasch zu ermöglichen? Wir haben genau hingehört und die wichtigsten Forderungen der Expert*innen zusammengefasst.

 

1. Geeignete Flächen bereitstellen

In nur wenigen Jahren soll ausschließlich grüner Strom durch unsere Leitungen fließen. Nun ist ja Sonnenstrom eine vielversprechende Lösung für klimaneutrale Stromproduktion, aber wohin mit den Grünstromerzeugern? Sind ausreichend Dächer vorhanden, um genügend Paneele über unsere Köpfe zu verfrachten? Und reicht die Stromausbeute tatsächlich aus, um die Klimaziele zu erreichen? „Wir brauchen viele effektive Anlagen, um dieses ambitionierte Ziel erreichen zu können“, weiß der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Verbund AG, Wolfgang Anzengruber. Der CEO des Grünstromerzeugers Enery, Richard König, wird konkreter: „Wir brauchen große, biodiverse Solarparks!“

Die Erschließung von weiteren Flächen ist demnach dringend notwendig. Natürlich ist hier von Flächen die Rede, die anders nicht mehr nutzbar sind, also Böden, die sonst brach liegen würden. „Hier können auch neue Industriestandorte als Standort für zukünftige Solarparks mitgedacht werden. Diese Öko-Industriezonen im Umfeld von Betrieben können dafür sorgen, dass rasch Grünstrom erzeugt werden kann“, wirft König ein. Hierfür müssen laut Expert*innen vonseiten der Politik rasche Maßnahmen zur Umsetzung von solchen Photovoltaikparks gesetzt werden. „Bund und Länder müssen Flächen neben Industriestandorten oder Autobahnen mobilisieren und freigeben. Wir reden hier von einer selbstauferlegten Verpflichtung, damit die gesetzten Klimaziele erreicht werden können“, stellt Anzengruber fest.

Richard König, CEO von Enery.

 

2. Genehmigungsverfahren beschleunigen

Vielversprechende Energieprojekte hängen derzeit in der Warteschleife. Klingt erstmal absurd, ist aber leider tatsächlich der Fall. Bürokratische Vorschriften bremsen hierzulande den raschen Ausbau der Solarenergie. „Wir haben genügend geeignete Flächen für Solarparks, aber leider dauern Widmungs- und Zonierungsprozesse noch immer viel zu lange“, erklärt Richard König. Fehlende politische Vorgaben und bürokratische Regelungen hemmen den Ausbau der klimafreundlichen Anlagen. Effiziente PV-Standorte bleiben demnach ungenutzt, geleistete Vorarbeiten sind oftmals wertlos. Expert*innen fordern für die notwendige Transformation unseres Energiesystems in Richtung CO2-Neutralität PV-freundlichere Rahmenbedingungen. Eine klimaneutrale Wirtschaft muss mit beschleunigten Umweltverträglichkeitsprüfungen und vereinfachten Genehmigungsverfahren gefördert werden. „Uns stehen die finanziellen Mittel derzeit zur Verfügung. Wir müssen also jetzt daran arbeiten“, fordert Christiane von Berg, Regional Economist Northern Europe bei Coface.

Podiumsdiskussion

Wolfgang Anzengruber, ehemalige Vorstandsvorsitzende der Verbund AG.

 

3. Energieinfrastruktur anpassen

Ein gut funktionierendes Stromnetz ist Grundvoraussetzung für eine zuverlässige Stromversorgung. Das weiß auch Wolfgang Anzengruber: „Ohne Infrastruktur wird die Energiewende nicht funktionieren!“ Doch genau diese Netzinfrastruktur sorgt bei einigen Stromversorgern derzeit noch immer für Unwohlsein. Grund dafür ist die wetterabhängige Stromproduktion der klimafreundlichen Anlagen. Solar- und Windanlagen speisen schließlich naturgemäß wetterabhängig Strom in das Netz ein – und dafür sind diese eben nicht ausgerichtet. Sprich: Es erfordert tatsächlich eine gewisse Anstrengung, Angebot und Nachfrage an Strom auszugleichen, um so die Spannung im Netz stabil zu halten. Ein gut durchdachter dezentraler Photovoltaikausbau kann dabei Abhilfe schaffen, das Netz zu entlasten und vor möglichen Netzstörungen schützen.

Freilich muss das Stromnetz an volatile Energieträger angepasst werden, sodass ein gleichmäßiger Energiefluss und eine lückenlose Stromversorgung jederzeit gewährleistet ist. Der Netzausbau muss demnach stärker forciert, Netzzugänge transparent und zusätzlich regionale Speichersysteme installiert werden. Diese zwischenspeichern überschüssigen Grünstrom und geben ihn bei tatsächlichem Bedarf wieder ab. Zusammengefasst bedeutet das: Mithilfe von Speichersystemen ist Sonnenstrom selbst dann verfügbar, wenn die Sonne gar nicht scheint. Das ist vor allem für Industriebetriebe, bei denen die Produktionen hauptsächlich in den Nachtstunden auf Hochtouren laufen, ein Vorteil.

Christiane von Berg, Regional Economist Northern Europe bei Coface.

 

4. Akzeptanz weiter erhöhen

Die angestrebte Energiewende steht und fällt mit der Akzeptanz der Bevölkerung – darin sind sich die Expert*innen einig. Fest steht: Um den Strombedarf bis 2030 bilanziell zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu decken, müssen in Zukunft viele Grünstromerzeuger in Österreich installiert werden. Das wird sich wiederum auch im Landschaftsbild nachhaltig negativ niederschlagen – so die Angst vieler Österreicher*innen. Diese sei laut König allerdings völlig unbegründet, denn für Photovoltaikparks genutzte Flächen werden nicht versiegelt, sodass sich eine Anlage einfach rückstandslos entfernen lässt. Zudem werden Solaranlagen hauptsächlich auf Grundstücken errichtet, die anders nicht mehr nutzbar sind und deren Böden sonst brach liegen würden. Noch besser: Ungenutzte Flächen entpuppen sich dank der Photovoltaikanlagen zu echten Biotopen für Tiere und Pflanzen. Die Diversität in Photovoltaikanlagen ist gewaltig, sodass sich verschiedenste Tier- und Pflanzenarten ansiedeln. Fest steht: „Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger abholen. Sie sind ein ganz wesentlicher Teil der Energiewende“, fasst König zusammen.

Podiumsdiskussion

Jürgen Bauer, Mitglied der Geschäftsleitung beim Transport- und Logistikunternehmen Gebrüder Weiss GmbH.

 

5. Unternehmen als Teil der Energiewende sehen

Die Corona-Krise und der Ukrainekrieg haben mehr als deutlich aufgezeigt, wie stark die globale Abhängigkeit von Energie-Importen hierzulande tatsächlich ist. Die Energiekrise trifft dabei vor allem auch die österreichische Industrie mit voller Härte. Der enorme Anstieg der Energiepreise belastet viele Betriebe, und die Sorge vor einem Ausfall von russischem Erdgas und damit einhergehenden Einschränkungen der Produktionen wächst. Für eine sichere Energieversorgung und den Weg in die CO2-Neutralität steht der Ausbau der Energieinfrastruktur auch bei Industriebetrieben ganz oben auf der Prioritätenliste.

Die schrittweise Umstellung auf erneuerbare Energien zählt etwa beim Transport- und Logistikunternehmen Gebrüder Weiss GmbH schon lange zu den Kernelementen der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie. „Mit einem eigenen Windpark und Photovoltaikanlagen auf unseren Dächern können wir unseren eigenen Grünstrom erzeugen“, erklärt Jürgen Bauer, Mitglied der Geschäftsleitung, stolz. Genauer gesagt deckt das Unternehmen bereits heute zehn Prozent des Energiebedarfs aller Logistikstandorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Solarstrom ab – Tendenz steigend. „Nun sind die Unternehmen gefordert, sie müssen handeln“, fordert Anzengruber. Und weiter: „Sie müssen den Mut zu neuen Entscheidungen aufbringen!“ Nur dann kann die Energiewende tatsächlich gelingen.

✅ TEXT: Sandra Rainer
✅ FOTOS: Enery

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