27. Juni 2023
"Wir brauchen mehr Energieerzeugung in Österreich"

Die Gaskrise zeige, dass Österreich für eine leistbare, sichere und saubere Energieversorgung selbst mehr Grünstrom produzieren müsse, so Klimaschutz- und Energieministerin Leonore Gewessler gegenüber Enery.

Im Jahr 2030 soll heimischer Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen, 2040 soll das Land klimaneutral sein. Dazu muss der Ausbau von Photovoltaik in Österreich vorangetrieben werden, das steht laut Expert:innen fest. Wir haben die zuständige Ministerin Leonore Gewessler gefragt, welche Maßnahmen die Bundesregierung dazu – und generell für die Erreichung die Klimaziele – plant.

Laut Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) muss es in Österreich bis 2030 einen Zuwachs an Photovoltaik-Strom von mindestens 11 Terawattstunden (TWh) geben. Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Leonore Gewessler: Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz haben wir die erste umfassende Reform des Stromsektors seit 20 Jahren geschaffen. Damit haben wir die zentrale gesetzliche Grundlage für die Energiewende realisiert. Die ist wesentlich im Kampf gegen die Klimakrise, wo wir vor drei Jahren eine Aufholjagd beim Klimaschutz gestartet haben. Denn leider ist in der Vergangenheit viel zu lange viel zu wenig passiert. Und es zeigt sich: Klimaschutz und Energiewende, ja es geht. Wir haben in den letzten drei Jahren jedes Jahr einen Ausbaurekord bei der Photovoltaik hingelegt und arbeiten daran, das zu verstetigen. Wir haben die Verfahren beschleunigt und Rekordförderbudgets aufgestellt. Genauso wie wir auf Bundesebene unsere Hausaufgaben erledigen müssen, sind auch die Länder und Gemeinden gefragt und müssen ihren Beitrag leisten. Für die Energiewende braucht es das Engagement aller. Mit dem österreichischen Netzfinfrastrukturplan arbeiten wir aktuell daran, das Übertragungsnetz fit zu machen und mit dem Bund-Länder Dialog wollen wir mit den Ländern intensiver zusammenarbeiten, um auch die nötigen Flächen auf Dächern, aber auch Freiflächen, zu mobilisieren, denn dafür sind wiederum die Länder zuständig. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg.

Die österreichische Energieagentur (AEA) hat erklärt, es werde Agri-PV benötigt, eine kombinierte landwirtschaftliche und Energieerzeugungsnutzung von Agrarflächen, um die Klimaziele zu erreichen. Wie sehen Sie diese Einschätzung?

Leonore Gewessler: Ja, das teile ich. Wir haben schon vor zwei Jahren ein Pilotprogramm gestartet, in dem wir auch Agri-PV Projekte inklusive Forschungsbegleitung auf den Weg gebracht haben. Daraus haben sich hervorragende Projekte ergeben, die europaweit herzeigbar sind. Die Standorteignung ist natürlich immer projektbezogen zu klären. Eine sinnvolle Kombination in vielen Fällen steht außer Frage und kann oft einen Mehrwert liefern.

Die AEA kritisiert zudem, dass manche Bundesländer Photovoltaik nur gebäudeintegriert oder auf Dachflächen implementieren wollen und PV-Freiflächenanlagen ablehnen. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Leonore Gewessler: Die Kompetenzen sind in Österreich verfassungsrechtlich detailliert geklärt und als Land müssen wir zusammenhelfen, um unsere Ziele zu erreichen und der Bevölkerung sichere, saubere und leistbare Energie bereitzustellen. Das erwarten sich die Menschen. Wie ein Bundesland diese Ziele verfolgt, steht ihm frei. Wir sehen aber, dass durch Ausschluss von Windenergie oder Einsatzmöglichkeiten von Photovoltaik eine Zielerreichung nicht leichter wird und, dass es wenig Gründe gibt, das so selektiv zu tun. Potential für mehr Erneuerbare gibt es in allen Bundesländern. In manchen gibt es mehr Möglichkeiten für Windkraft oder Photovoltaik, in manchen gibt es weniger. Hier kann jedes Bundesland seinen Beitrag für die Zukunft leisten. Wir brauchen einen Energiemix, der sich gut ergänzt. Im Winter gibt es weniger Wasserkraft, dafür mehr Windkraft. Das ergänzt sich gut und das sollten wir natürlich nutzen. Insgesamt brauchen wir für eine leistbare, sichere und saubere Energieversorgung in Österreich wieder mehr Erzeugung in Österreich. Das hat uns spätestens die Gaskrise gezeigt.

Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung bezüglich Agri-PV und Freiflächenanlagen?

Leonore Gewessler: Wir haben hier bereits vieles umgesetzt. Es gibt höhere Förderungen für Agri-PV Anlagen und überall, wo man durch innovative Ansätze gute kombinierte Ansätze der Nutzung hat, ebenfalls. Wir haben auch im Elektrizitätswirtschaftsgesetz bereits viele Erleichterungen umgesetzt und werden das auch weitermachen, denn natürlich brauchen neue Konzepte auch neue Lösungen und somit bewegliche Gesetze und Regularien. Was wir aber klar sagen müssen ist, dass auch der Naturschutz eine wichtige Rolle spielt. Denn nicht jede vermeintlich leere Fläche ist geeignet, um genutzt zu werden. Der Flächenverbrauch in Österreich ist nicht nur wegen der Bodenversiegelung ein Problem, sondern auch weil wir Naturräume wegnehmen, die ja eigentlich unsere Lebensgrundlagen sind. Es gibt eine gewaltige Menge an Flächen, die man gut kombiniert nutzen kann. Daran sollten wir arbeiten.

Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung generell bezüglich PV-Ausbau?

Leonore Gewessler: Wie erwähnt – es gibt bereits sehr viel. Ich bin oft auch überrascht, wie viel wir beispielsweise bei elektrizitätsrechtlichen Fragen bereits beschlossen haben. Aber in der Umsetzung seitens unterschiedlicher Stellen ist noch einiges zu tun. Stichwort: Digitalisierung und Transparenz. Da schauen wir sehr genau hin. Ich muss auch klar sagen: Behörden müssen entsprechend ausgestattet werden. Denn was hilft ein gesetzlich definiertes Prozedere, wenn die Menschen fehlen, die es bearbeiten oder sicherstellen, dass es korrekt angewendet wird? Dafür kann nicht etwa mein Ministerium sorgen, da sind unter anderem die Länder verantwortlich. Gleichzeitig müssen wir als Bund natürlich beständig für den passenden gesetzlichen Rahmen sorgen. Dazu novellieren wir derzeit das Elektrizitätswirtschaftsgesetz und werden auch mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz ein größeres Paket vorlegen, sodass auch die PV rascher genehmigt und gebaut werden kann.

Leonore Gewessler , Enery-Interview

„In der Umsetzung ist noch einiges zu tun“ – Ministerin Leonore Gewessler (Foto: BMK/Cajetan Perwein)

Laut PV Austria klagen Unternehmen über lange Wartezeiten, fehlende Einspeisemöglichkeiten, unklare Bedingungen, aufwändige Genehmigungsverfahren von PV-Anlagen in den Bundesländern sowie über Mangel an Fachpersonal. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Leonore Gewessler: Auf Bundesebene bin ich es mittlerweile gewohnt, dass wir gleichzeitig drei, vier Gesetze und einige Verordnungen bearbeiten, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Klar, das „Energieministerium“ ist für Energie verantwortlich. Aber es gibt mehr als genug Herausforderungen, die ganz wo anders liegen, etwa im Vollzug, in der Umsetzung. In einem Rechtsstaat gibt es Zuständigkeiten, die man ansprechen muss. Ein Gesetz zu novellieren dauert seine Zeit. Was oft vergessen wird: Man kann auch bestehende Gesetze vollziehen, die Behörden entsprechend ausstatten und auch bei den zuständigen Stellen konkret daran arbeiten, wie Genehmigungen einfacher werden.

Heimische Grünstromerzeuger fordern daher unter anderem eine einheitliche Regelung für Zonierung und Genehmigung von geeigneten Flächen für Photovoltaik sowie die Transparenz von Netzzugängen. Was sagen Sie zu diesen Forderungen?

Leonore Gewessler: Wie erwähnt arbeiten wir an einer Novelle des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes für das Transparenz-Thema und an einem Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz, das auch einige Vorteile bei den Flächen beziehungsweise der Genehmigung für die PV bringen wird. Aber ich muss auch sagen: Sehr viel davon ist bereits jetzt möglich und sollte auch gemacht werden. Vollzugsbehörden, aber auch die zuständigen Stellen – beispielsweise für eine Zonierung in den Bundesländern – sind die richtigen Ansprechpartner, um an Lösungen im bestehenden Rechtsrahmen zu arbeiten. Ja, der gesetzliche Rahmen gehört insgesamt neugestaltet, aber man muss auch endlich anfangen, den bestehenden Rahmen zu nutzen. Da ist schon sehr viel möglich.

Integrierte PV ist gerade im städtischen Raum noch gering ausgebaut, auch bei öffentlichen Gebäuden. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?

Leonore Gewessler: Da tut sich einiges, auch wenn gerade im dichtverbauten Raum über Jahre hinweg viel zu wenig passiert ist. Insgesamt haben wir recht umfassende Förderinstrumente, sowohl in der Marktförderung als auch in der Innovation um das Segment „integrierte PV“ voranzubringen. Aufgrund der preislichen, aber auch der technologischen Entwicklung wird das sehr wahrscheinlich ein Bereich mit großem Wachstumschancen.

Wie sehen Sie die konkrete Entwicklung in Wien, wo es beispielsweise die Möglichkeit gibt, beim gemeinnützigen städtischen Wohnbau flächendeckend PV zu installieren?

Leonore Gewessler: Der gemeinnützige Wohnbau ist natürlich ein großer Hebel. Der Wohnbau insgesamt. Es macht sehr viel Sinn, flächendeckend in ganz Österreich Sonnenkraftwerke zum Standard auf Gebäuden zu machen. Es birgt viele Vorteile.

Welche Forderungen stellen Sie generell beim Ausbau von erneuerbarer Energie an Bundesländer, Städte und Gemeinden?

Leonore Gewessler: Es ist wenig zielführend, sich gegenseitig Forderungen auszurichten. Das mag kurzfristig eine nette Schlagzeile bringen, aber löst keine Probleme. Jede Ebene hat ihren Verantwortungsbereich. Zentral ist die jeweilige Rolle wahrzunehmen und aus dieser heraus zu gestalten und umzusetzen. Das erwarten die Menschen von uns. Wir haben mit dem Bund-Länder-Dialog beispielsweise ein Instrument, wo wir mit den Ländern gemeinsam darüber sprechen, wie man den Ausbau Erneuerbarer schneller voranbringen kann, und ausmachen, wo wir die Bundesländer in ihrem Verantwortungsbereich unterstützen können. Aber zum Gelingen müssen eben alle ihren Beitrag leisten.

✅ TEXT: MICHI REICHELT
✅ FOTOS: BMK/CAJETAN PERWEIN