5. Oktober 2021
Die Autobahn der Zukunft erzeugt Sonnen- und Windstrom

Ein neues Pilotprojekt der Schweizer Unternehmensgruppe Energy Pier soll Photovoltaik und Windkraft clever miteinander kombinieren. Konkret handelt es sich um innovative Solarbrücken über Autobahnen, unter denen Windgeneratoren für die Extraportion Grünstrom sorgen.

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Knapp 13 Hektar Land werden in Österreich täglich mit Häusern, Siedlungen, Gewerbegebieten, Shoppingcentern und Industriehallen verbaut. Alleine für Straßen und Parkplätze wurden hierzulande bereits rund 1.240 Quadratkilometer Fläche versiegelt. Das entspricht der dreifachen Fläche Wiens, wie der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) anhand von Daten des Umweltbundesamts bekanntgibt. Expert*innen sind sich längst einig, dass diese steigende Bodenversiegelung ein wachsendes Umweltproblem darstellt. „Die Umweltkrise mit dem Bodenverbrauch, dem Ressourcenschwund und dem Biodiversitätsverlust wird sich weiter zuspitzen und die Klimakrise beschleunigen“, macht der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Kurt Weinberger, deutlich. Wir müssen handeln. Und zwar sofort.

Doch was wäre, wenn scheinbar leblose graue Verkehrsflächen plötzlich einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisteten? Wie kann das funktionieren? Ganz einfach: indem Straßen mit Solarmodulen überdacht werden. So könnten versiegelte Flächen für saubere Energiegewinnung genutzt werden. Ein Forscherteam aus Österreich und Deutschland hat sich genau diesem Thema angenommen und untersucht derzeit die Potenziale von Solardächern über Autobahnen. Im Herbst 2021 sollen die ersten Straßen mit effektiven Modulen ausgestattet werden. Einen Schritt weiter geht allerdings das Schweizer Unternehmen Energy Pier. Dieses setzt es sich zum Ziel, Sonnen- und Windenergie synergetisch miteinander zu vereinen. Konkret geht es dabei um Kombikraftwerke aus Photovoltaik und Windkraft, die entlang des Autobahnnetzes entstehen und in großem Maßstab sauberen Strom liefern sollen.

Energy Pier

Das Potenzial solcher Solarüberdachungen wird in Österreich und Deutschland derzeit untersucht.

Oben Sonne …

Fahrbahnen werden mit Solarmodulen überspannt; sie bilden quasi kleine Brücken über der Verkehrsfläche. Diese Überdachung wird wiederum mit vertikalen Windkraftgeneratoren an beiden Seiten ausgestattet. Dieses Konzept ermöglicht laut dem Ingenieur des Schweizer Unternehmens, Laurent Jospin, die Installation von mehreren tausend Quadratmetern Photovoltaik. „Die Module sind so konzipiert, dass sie einen möglichst hohen Wirkungsgrad haben und während der Lebensdauer der Anlage mehrmals ausgetauscht werden können, damit die Gesamtanlage immer auf der Höhe des technologischen Fortschritts bleibt“, heißt es vonseiten des Unternehmens.

… unten seitlich Wind

Nun zum integrierten Windkraftwerk: Die tragende Solarstruktur ist laut Energy Pier so konzipiert, dass sie eine Art Beschleunigungseffekt der Luftbewegung erzeugt, sodass diese als effektive Energiequelle genutzt werden kann. Sogenannte „AnemoGen“-Generatoren werden dafür auf beiden Seiten der tragenden Säulen installiert. Der Wind bläst also durch den Solartunnel, wird von den Rotorblättern vertikal eingefangen und in den Generatoren schließlich in sauberen Strom umgewandelt – und das sogar bei geringen Luftströmen. Die entwickelten Generatoren stammen laut Unternehmensangaben aus der hausinternen Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Um Luftströme an verschiedenen Standorten auch optimal nutzen zu können, umfasst das AnemoSystemTM verschiedene Größen und Ausführungen von AnemoGenTM-Modulen.

Energy Pier

So soll das smarte Kombikraftwerk aussehen.

150 Jahre lang Grünstrom

Geht es nach dem Schweizer Unternehmen, sollen schon bald an jedem Kilometer einer vierspurigen Autobahn zwischen 22.000 und 30.000 Solarmodule installiert werden. Dazu kämen bis zu 320 „AnemoGen“-Generatoren und 162 Pfeiler zum Einsatz. Das Beste: Die Installation der Photovoltaik-Wind-Kombikraftwerke wird ohne Verkehrsunterbrechung möglich sein.

Mit der Installation eines Kombi-Kraftwerks könnten laut eigenen Angaben des Unternehmens mindestens 12,5 Gigawattstunden (GWh) Solarstrom und 18,8 GWh Windenergie pro Jahr generiert werden. Damit nicht genug: Die Mindestlebensdauer der Anlagen ist tatsächlich auf 150 Jahre angelegt.

Weniger Lärm dank Kombikraftwerk

Mithilfe der kombinierten Anlagen soll zunächst die Energiewende in der Schweiz vorangetrieben und eine mögliche Ökostrom-Lücke vermieden werden. Außerdem könnte dem Flächenproblem für neue Solar- und Windkraftanlagen entgegenwirkt werden. Schließlich werden nur Flächen zur Energieerzeugung genutzt, die bereits als Infrastrukturfläche dienen. Darüber hinaus spricht das Entwicklerteam von einem weiteren, nicht gerade unwichtigen Nebeneffekt: Aufgrund der gezielten Bindung von Verkehrslärm durch die Anlage selbst könnte sie für eine erhebliche Lärmminderung sorgen.

Außerdem schützt das Solardach die darunterliegende Fahrbahn vor Regen, Hagel, Schneefall und Sonne. Es biete im Sommer Schutz vor übermäßiger Hitze und UV-Strahlung, im Winter mache es aufwendige Schneeräumarbeiten überflüssig. Besonders interessant dürfte diese Entwicklung allerdings für Besitzer*innen von Elektroautos sein. Schließlich bietet die installierte Solarstruktur genügend Platz für Kabel und weitere notwendige Installationen, wie etwa einer Notfall-Ladestation für Elektroautos.

Erste Projekte bereits gepplant

Tatsächlich hat Energy Pier in der Vergangenheit zwei Pilotprojekte auf den Weg gebracht. Das eine entsteht in der Gemeinde Fully im Kanton Wallis. Dort will das Unternehmen 1,6 Kilometer der Autobahn A9 mit einer Solarbrücke überdachen. Rund 50 Gigawattstunden Ökostrom soll die Anlage jährlich liefern. Das zwei Pilotprojekt ist im Bezirk Knonauer Amt im Kanton Zürich geplant. Es sieht eine Installation auf 2.500 Meter vor und soll jährlich etwa 78 Gigawattstunden Solar- und Windstrom erzeugen. Eine internationale Expansion ist laut dem Schweizer Unternehmen auch schon geplant.

Solche Projekte sind sicherlich eine gute Möglichkeit, Emissionen zu senken und bereits versiegelte Flächen sinnvoll zu nutzen. Übrigens:  Im Jahr 2021 betrug die Länge des Straßennetzes in Österreich insgesamt rund 126.400 Kilometer. Genügend Fläche also für die Installation moderner Kombikraftwerke.

✅ TEXT: SANDRA RAINER
✅ FOTOS: UNSPLASH / Josh FeliseLABOR3 ARCHITEKTUR GMBH ; EnergyPier