13. Mai 2021
Wer im Glashaus sitzt, darf bald Sonnenstrom ernten

Für ein Demonstrationsprojekt der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) wurden Glasplatten von Gewächshäusern mit semitransparenten Solarfolien ausgestattet. Neben Obst und Gemüse soll dort nun auch Grünstrom geerntet werden.

Wer im Glashaus sitzt, darf bald Sonnenstrom ernten- Image

Im Wiener Randbezirk Simmering gedeiht derzeit die Zukunft der urbanen Lebensmittelversorgung. Bei der sogenannten Urban-Agro-Photovoltaik sollen landwirtschaftliche Aktivitäten im städtischen Gebiet und saubere Stromerzeugung nachhaltig miteinander kombiniert werden. Hierfür sollen versiegelte Flächen in Städten und Gemeinden sinnvoll zur Erzeugung von Grünstrom genutzt werden. Genauer gesagt werden in Zukunft immer mehr effektive Solarmodule auf die Dächer von Wiener Gewächshäusern verfrachtet.

Eine sinnvolle Kopplung von Agrarwirtschaft und Photovoltaik ist gewiss das Ziel aller heimischen Landwirt*innen. Doch bisher gibt es in Mitteleuropa nur wenige Photovoltaik-Anlagen, die Nahrungsmittelproduktion und Stromerzeugung tatsächlich miteinander kombinieren. Und: Diese werden hauptsächlich in ländlichen Gebieten installiert.

Die Schlussfolgerung: Städtische und stadtnahe Landwirtschaften profitieren kaum – bis jetzt. Dabei sind sich Expert*innen längst einig, dass der Einsatz erneuerbarer Stromerzeuger auch in diesen Gebieten viele Vorteile mit sich bringt. Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts GLOCULL soll nun untersucht werden, wie die elektrische Energieproduktion auf Glashäusern aussehen könnte. Selbstverständlich werden dabei auch die Auswirkungen auf Ernteerträge genau dokumentiert.

Das Gesamtprojekt GLOCULL

Städte sind der treibende Motor für kulturellen Austausch, Innovation und Inspiration – und leider auch für den Ausstoß schädlicher Treibhausgase. Gerade deshalb verwandeln sich immer mehr urbane Gebiete in klimagerechte und nachhaltige Städte – sogenannte Smart Cities. Im Zuge des GLOCULL-Projekts (Globally and locally sustainable food-water-energy innovations in urban living labs) beschäftigen sich nun immer mehr Großstädte weltweit mit einem nachhaltigen Umgang und der Bereitstellung von Nahrung, Wasser und Energie. Lösungsansätze dafür sollen mithilfe von sogenannten Urban Living Labs erarbeitet werden. Sprich: In solchen Living Labs ist der Ort zum Experimentieren immer eine reale Umgebung. Die Lösung wird also genau dort getestet, wo sie in Zukunft tatsächlich implementiert werden soll.

Insgesamt sind sieben Universitäten aus der ganzen Welt und lokale Projektpartner*innen aus dem öffentlichen und privaten Sektor an dem Gesamtprojekt beteiligt. Österreich ist der einzige Standort, der sich ausschließlich auf die solare Stromerzeugung fokussiert. Das rot-weiß-rote Forscher*innenteam setzt sich aus der Universität für Bodenkultur Wien, der Wiener Genossenschaft LGV-Frischgemüse und dem Photovoltaik-Unternehmen NIKKO Photovoltaik zusammen.

Warum Simmering?

Doch können Tomaten, Paprika und Gurken zwischen Autolärm und Abgasen tatsächlich gedeihen? Die Antwort: Ja, können sie – und zwar in Glashäusern. Kein Wunder, dass in Wien und Umgebung also immer mehr Gemüse- und Obstsorten in genau solchen angebaut werden. Vor allem der Bezirk Simmering ist für seine zahlreichen landwirtschaftlichen (Glashaus-)Flächen bekannt. Darunter sind auch Gewächshäuser des Projektpartners LGV-Frischgemüse.Insgesamt 150 Gärtnerfamilien und Landwirt*innen der beiden Marken LGV Gärtnergemüse und Seewinkler Sonnengemüse produzieren knackiges Gemüse. Das Beste: Produkte können dank Glashaus ganzjährig frisch geerntet werden – völlig unabhängig von Wind und Wetter. Ein Import aus anderen Ländern ist somit nicht notwendig. Klingt ja erstmal ziemlich nachhaltig.

Der Haken: Gewächshäuser sind echte Energiefresser. Schließlich ist der Betrieb eines solchen mit zusätzlichem Aufwand für Bewässerung, Beschattung, Befruchtung und vor allem Beheizung verbunden. Schließlich sollen auch in den kalten Monaten Pflanzen keimen. Integrierte Photovoltaik-Module könnten die Ernte aber nachhaltiger gestalten.

Wie werden die Module installiert?

Im Zuge des GLOCULL-Projekts wurden deshalb LGV-Glashäuser mit speziellen PV-Paneelen ausgestattet. Dazu kommen sogenannte semitransparente Module von DAS Energy zum Einsatz. Diese werden überall dort eingesetzt, wo eine ausreichende Lichtdurchflutung von Nöten ist. Sprich: Das Sonnenlicht scheint durch die Module und produziert gleichzeitig Strom. Schließlich braucht jede Pflanze Sonnenlicht zum Wachsen. Durch die Verwendung von lichteinfangenden Bifazialzellen wird der Energieertrag in neue Höhen getrieben.

Darüber hinaus wurden unter anderem auch Prototypmodule von Crystalsol installiert – eine völlig neue Art der flexiblen Photovoltaik-Technologie. Die PV-Folien werden dabei flexibel in die strukturierte Glasfassade mit Polymerfolie laminiert. Dadurch sind keine Spezialanfertigungen für die Scheiben im Glashaus notwendig. Das Beste: Die Statik des Hauses muss aufgrund der Solarmodule nicht verändert werden. Vielmehr werden diese vollständig in den Dächern integriert.

GLOCULL
Hier werden die PV-Folien an die Glasfläche angebracht.
GLOCULL
Schon bald werden sie genügend Sonnenstrom produzieren können.

Was erhofft man sich vom GLOCULL-Projekt?

Um aussagekräftige Ergebnisse liefern zu können, wird der Energieverbrauch der Gärtner*innen mit dem Potenzial der solaren Dächer verglichen. Dazu werden Stromertrag, Lichteinstrahlung, Pflanzenwachstum, Beschattung und technische Anforderungen berücksichtigt. Die gemessenen Parameter sollen jedenfalls einen ganzheitlichen Überblick über die mögliche elektrische Energieproduktion und den Energiekonsum geben. Zusätzlich wird die tägliche Gemüseernte gewogen, wodurch man einen verminderten oder erhöhten Ernteertrag feststellen kann.

Ziel ist es, dass sich Gärtner*innen mit der produzierten Energie selbst versorgen können. Sprich: Sie werden energieautark. Die eigene Erzeugung von Energie trägt dazu bei, dass nicht mehr so viel Energie zugekauft werden muss – was sich wiederum mit sinkenden Kosten bemerkbar macht.

Zukunftsaussichten

Die Kombination von Nahrungsmittelproduktion und solarer Stromerzeugung klingt ziemlich vielversprechend – vor allem, wenn es um die smarte Weiterentwicklung von nachhaltigen Städten geht. Jedoch befinden sich die gläsernen Solarkraftwerke in Simmering in der frühen Entwicklungsphase. Das heißt, es braucht noch einiges an Zeit, um tatsächliche Erfolge verzeichnen zu können.

Schließlich muss solch eine Anlage gut vorbereitet werden. Vor allem bei der Entstehungsphase sind Personen mit unterschiedlichem Hintergrundwissen von großer Bedeutung. Deshalb wird bei diesem Projekt das Wissen von Landschaftsplaner*innen, Landtechniker*innen, Ökonom*innen, Photovoltaik-Expert*innen, Gärtner*innen wie auch der Stadt Wien als öffentlicher Partner gebündelt und angewendet. Erste Ergebnisse werden im Laufe des Jahres 2021 präsentiert. Wer weiß: Vielleicht sorgen heimische Glashäuser schon bald für echt sauberen Grünstrom. Wir dürfen also gespannt in die Zukunft blicken!

✅ TEXT: SANDRA RAINER
✅ FOTOS: UNSPLASH / ERWAN HESRY ; GLOCULL VIENNA