16. Feber 2023
Bahnbrechend: Ausrollbare Solaranlage zwischen Bahngleisen
Sonnenenergie steht im Fokus der Energiewirtschaft. Sie lässt sich völlig emissionsfrei nutzen und noch dazu fast überall installieren: auf ungenutzten Ackerflächen, dem eigenen Hausdach, über Straßen, Seen oder eben – zwischen Bahngleisen.
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Mit dem Zug einmal quer durch ganz Europa düsen? Heutzutage absolut kein Problem mehr – schließlich schlängeln sich rund 5.600 Kilometer Bahngleise allein durch Österreich. Wer sich für eine Zugfahrt entscheidet, nutzt jedenfalls das umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel und tut dem Klima etwas Gutes. Schließlich sind die ÖBB seit 2018 mit 100 Prozent grünem Bahnstrom unterwegs. In Zukunft aber könnten die Gleise der Bahn sogar selbst zum Klimaschutz beitragen. Schon länger existiert die Idee, Solarmodule in oder auf Bahntrassen zu integrieren, um Grünstrom zu erzeugen. Wie groß ist das Potenzial wirklich?

Der Solarexpress

Die Idee, das Schienennetz zur Stromerzeugung zu nutzen, ist also nicht neu. Vieles spricht dabei für die Installation von Solarmodulen im Gleisbereich. Es werden keine Extraflächen benötigt, und bereits versiegelte Flächen könnten sinnvoll genutzt werden. Außerdem sind Schienen standardisiert, sodass sich die einzigartigen Paneele leicht planen ließen. Der erzeugte Sonnenstrom könnte zudem direkt in die Oberleitungen oder ins lokale Verteilernetz fließen und Haushalte mit erneuerbarer Energie versorgen.

Das, was das Schweizer Cleantech-Start-up Sunways nun aber vor hat, könnte noch bahnbrechender sein: Im Rahmen eines Pilotprojekts will das Unternehmen im Kanton Neuenburg im Mai 2023 einen Gleisabschnitt mit Solarmodulen ausstatten. Um den Prozess zu vereinfachen, hat Sunways dafür eine eigene Methode entwickelt. Solarmodule werden dabei mit einem Spezialzug wie ein Teppich zwischen Bahngleisen ausgerollt. Im ersten Schritt sollen 50 Solarmodule auf einer Strecke von 100 Metern eingehakt werden. Bis 2024 sollen es zehn Kilometer werden.

Wichtige Vorarbeiten

Vor der Montage am Gleis werden die innovativen Solarzellen in einer Fabrik vormontiert und auf einen Spezialzug geladen, den das Schweizer Gleisbauunternehmen Scheuchzer bereitstellt. Dieser Zug fährt die Strecke entlang und rollt dabei die Module wie einen Teppich zwischen den Schienen aus. Liegen die Solarzellen an der richtigen Stelle, wird vom Zug ein Mechanismus ausgelöst, durch den die Module zwischen den Schienen eingeklemmt und befestigt werden. Fachkräfte schließen die Paneele anschließend manuell ans Netz an.

Das Besondere: Für Wartungsvorgänge, wie etwa das Schleifen der Schienen, kann der Solarteppich mühelos entfernt werden. Genau darin sieht der Unternehmer und Mitgründer Baptiste Danichert einen der Vorteile seines Konzepts gegenüber anderen Lösungen.

Bremsen Herausforderungen das Vorhaben?

Das Schweizer Unternehmen sieht großes Potenzial in den integrierten Solarzellen und schätzt, dass in der Schweiz eine Fläche von rund sieben Quadratkilometern für Solarstrom auf Bahnschwellen verfügbar ist. Nicht miteinberechnet werden Streckenabschnitte, die unter Tunneln verlaufen oder täglich im Schatten liegen. Sunways geht aber davon aus, dass rund 350.000 Haushalte mit der verfügbaren Schwellenfläche mit Strom versorgt werden könnten.

Ganz einfach wird die Umsetzung der Solargleise aber freilich nicht. Denn was passiert etwa, wenn Züge mit hohen Geschwindigkeiten über die Solarzellen hinwegdonnern? Und ist die Installation von Modulen nicht mit mehr Aufwand verbunden? Schließlich müssen diese bei Verschmutzung zusätzlich gereinigt werden. Die erfreulichen Antworten: Die genutzten Module können mit der Belastung im Gleisbett technisch gut umgehen. Gereinigt werden die Paneele laut Sunways zudem mit an Zügen befestigten zylindrischen Bürsten, die Bremsstaub oder andere Verschmutzungen während der Fahrt mühelos entfernen. Für Gebiete mit starkem Schneefall plant Sunways ein zusätzliches System, das Schnee und Eis zum Schmelzen bringt. Spezielle Solarzellen mit Blendschutzfilter sollen zudem verhindern, dass Zugführer:innen von den Solarzellen geblendet werden.

In den nächsten Jahren will das Start-up expandieren – nach Deutschland, Italien und Österreich, in die USA und nach Asien. Und dafür sorgen, dass diese Innovation nicht auf dem Abstellgleis landet.

✅ TEXT: Sandra Rainer
✅ FOTOS: Unsplash | Andrew Karn