14. Juni 2021
Rosige Aussichten: Wie sich die Solarbranche von der Pflanzenwelt inspirieren lässt

Nach jahrelanger Forschung präsentiert das Hightech-Start-up Phytonics nun eine spezielle, von Pflanzen inspirierte Oberflächenfolie. Diese soll Effizienz und Widerstandsfähigkeit von Solarmodulen um bis zu zehn Prozent erhöhen.

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Der Mensch ist dank seines Gehirns in der Lage, Ideen zu entwickeln und diese auch in die Tat umzusetzen. Bereits seit vielen hundert Jahren entwickelt er jedenfalls clevere Erfindungen, die das alltägliche Leben erleichtern. Aber Moment mal! Viele dieser innovativen Ideen sind oftmals nur geklaut – und zwar aus der Natur. Weil viele Probleme dort längst gelöst sind, lassen sich Wissenschafter*innen eben von genau dieser inspirieren. Wie etwa das Forschungsteam am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – besser gesagt des Tech-Spin-offs Phytonics.

Das Unternehmen setzt es sich zum Ziel, den nachhaltigen Umbau des Energiesystems mit effizienter Photovoltaik anzukurbeln. Die Lösung: Solarzellen mit breitem Absorptionsspektrum und hoher Einfallswinkeltoleranz. Das Besondere: Entwickler*innen lassen sich dabei von den Strukturen der Pflanzenwelt inspirieren. Nach mehr als sieben Jahren Forschungs- und Entwicklungsarbeit schafft Phytonics nun endlich den Durchbruch: Mithilfe einer antireflektierenden Beschichtung für Moduloberflächen soll mehr Grünstrom produziert und gleichzeitig ein ästhetisches Erscheinungsbild geschaffen werden.

Rosenblätter dienen als Vorbild

Bei der Entwicklung der Phytonics-Folie ließ sich das Unternehmen aber nicht von irgendeiner Pflanze inspirieren. Vorbild für die neuesten Entwicklungen war die Königin der Blumen, die Rose. Deren Blütenblätter weisen eine matte, aber zugleich satte Farbe auf. Unter dem Rasterelektronenmikroskop endeckten Forscher*innen Unglaubliches: Das äußere Abschlussgewebe der Blätter, auch Epidermis genannt, besteht aus dicht gedrängten Mikrostrukturen. Diese sind zusätzlich durch Nanostrukturen gerippt. Mit diesen winzigen Strukturen gelingt es der Rose, das einfallende Licht in die Zellen einzukoppeln. Das farbige Licht tritt wieder aus und die Sonnenenergie bleibt quasi in der Pflanze gefangen.

Die Vorteile von glänzenden und matten Oberflächen vereint

Genau dieser natürliche Prozess soll nun auch die Solarbranche revolutionieren. Inspiriert von Rosenblütenblättern entwickelten Forscher*innen die sogenannte Phytonics-Antireflexfolie. Mit ihrer Hilfe werden Moduloberflächen entspiegelt und die Energieausbeute dadurch deutlich erhöht. Forschende am KIT bildeten dabei die Epidermis der Blüten auf großen Flächen, also Moduloberflächen, nach. Die Kombination von Mikro- und Nanostrukturierung sorgt dafür, dass die Reflexion des Lichts fast komplett unterdrückt wird – egal, bei welcher Wellenlänge oder welchem Einfallswinkel. Dies führt zu einer zusätzlichen Leistung von fünf bis zwölf Prozent, denn durch die Anbringung der Beschichtung werden jegliche Reflexionsverluste verhindert.

Gleichzeitig verleiht die Innovation den Solaranlagen ein edles, samtiges Erscheinungsbild – wie wir es bereits von Rosengewächsen kennen. „Unsere Folie ermöglicht es, die Vorteile von hochglänzenden und matten Oberflächen zu vereinen, nämlich intensive Farben ohne störende Reflexionen“, erklärt Dr. Ruben Hünig, Mitgründer von Phytonics.

Optimale Einbettung in die Umgebung

Photovoltaikanlagen mit Antireflexfolie erzielen aber nicht nur eine bessere Energieausbeute. Sie fügen sich auch optimal in die Umgebung ein und werden demnach nicht mehr als störender Faktor wahrgenommen. Denn Phytonics-Folien fangen das Licht im Modul ein, wodurch die Sammelschienen und andere Zellendetails komplett verschwinden – optimal für gebäudeintegrierte Anlagen. Mithilfe der Antireflexfolie sind Blendwirkungen zu 100 Prozent ausgeschlossen. Sprich: Das Auge wird geschont und die Verkehrssicherheit stets gewährleistet.

Sinkende Wartungskosten

Langzeitstabile multifunktionale Antireflexbeschichtungen werden mittels Standard-Laminationsverfahren angebracht. Die neuesten Entwicklungen sind herkömmlichen Beschichtungsprozessen laut Phytonics freilich weit überlegen. Schließlich sind teure und meist auf feste Substrate beschränkte Vakuum-Aufdampfprozesse überflüssig. Stichwort: Flexibilität. Die hergestellte Phytonics-Folie ist mechanisch flexibel und darum auch für gekrümmte Oberflächen geeignet. Sie ermöglicht ein Höchstmaß an Gestaltungsfreiheit. Gleichzeitig ist sie gegenüber Umwelteinflüssen, wie etwa Nässe oder starken Temperaturschwankungen, beständig. Außerdem wirkt die Antireflexfolie schmutzabweisend – die Solarmodule bleiben sauber und die Wartungskosten dementsprechend niedrig.

Das Beste: Die Antireflexfolie eignet sich für zahlreiche Anwendungen, von Anzeigetafeln über Verkehrszeichen bis hin zu Möbelstücken. Die Einsatzmöglichkeiten sind auf alle Fälle groß. Das wissen auch die Expertinnen und Experten von Phytonics: „Pflanzen sind die Meisterinnen im Lichtmanagement. Phytonics macht ihr einzigartiges Design auf jeder technischen Oberfläche anwendbar!“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

✅ TEXT: SANDRA RAINER
✅ FOTOS: ANDREA FABRY, BEARBEITUNG: PHYTONICS
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