13. Mai 2021
Alpiner Sonnenstrom: In den Bergen geht die Sonne auf

Solaranlagen sorgen in der kalten Jahreszeit eher für Verunsicherung als für grünen Strom. Dabei gibt es dafür gar keinen Grund, wie ein Pilotprojekt in den Schweizer Alpen zeigt. Demnach soll alpiner Sonnenstrom eine Kraft erst so richtig entfalten.

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Wer im Winter schon einmal in den Bergen unterwegs war, kennt das Problem: Trotz eisiger Temperaturen ist die Gefahr, sich einen Sonnenbrand einzuhandeln, ganz schön hoch – sogar deutlich höher als im Flachland. Dieses Phänomen ist auf den sogenannten Albedo-Effekt zurückzuführen. Kurzer Exkurs: Als Albedo bezeichnet man den Anteil an (Sonnen-)Strahlung, der von einer Oberfläche reflektiert wird. Dunkle Flächen reflektieren Strahlung kaum, helle Oberflächen hingegen sehr stark. Damit wäre das Phänomen also erklärt: Denn Schnee und Eis, beides sehr helle Oberflächen, reflektieren Sonnenstrahlen und verstärken sie. Was bei Bergsportler*innen im Winter eher in Schmerzen endet, erweist sich für die Solarbranche jedoch als große Chance. Denn alpine Solaranlagen haben im Winter Hochsaison. Die heißen Anlagen erzeugen in der kalten Jahreszeit besonders viel Grünstrom – mehr als ihre sonnigen Kollegen im Flachland, dem Albedo-Effekt sei Dank.

Und dreimal darf man raten, wo das sonnige Potenzial erkannt und umgesetzt wurde: in der gebirgsreichen Schweiz. Wenn nicht hier, wo sonst? Das Energieversorgungsunternehmen Romande Energie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Vorteile schwimmender Solaranlagen mit den Vorteilen des alpinen Raums zu kombinieren – und so alpinen Sonnenstrom markttauglich zu machen. Mit Erfolg. Bereits Ende 2019 wurde in rund 1.800 Meter Höhe eine schwimmende Solaranlage auf dem Stausee Lac de Toules installiert. Diese sollte mit einer wahnsinnig hohen Energieausbeute Anlagen im Flachland in den Schatten stellen. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen des ziemlich beindruckenden alpinen Sonnenkraftwerks.

Alpiner Sonnenstrom: Das Projekt

Der erste Schritt Richtung alpiner Sonnenstrom wurde bereits im August 2013 gesetzt. Das Team rund um den Projektverantwortlichen Guillaume Fuchs testete mittels kleinerer Anlagen am Seeufer die Machbarkeit der schwimmenden Module. Und wie heißt es doch so schön: Die Konkurrenz schläft nie – in diesem Fall aber doch. „Es gab bereits einige Projekte für schwimmende Solarkraftwerke. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine in einer alpinen Umgebung“, so Fuchs. Die Forscher*innen trafen mit ihrer innovativen Idee also völlig ins Schwarze.

 

Im Dezember 2019 dann die Weltpremiere: Erstmals wurden 1.400 Sonnenmodule in solch einer Höhe Stück für Stück zu einem Teppich aus schwimmenden PV-Paneelen zusammengesetzt. Gehalten werden die Module von 36 schwimmenden Konstruktionen aus Aluminium und hochdichtem Polyethylen. Das Besondere daran: Sie sind am Boden des Stausees verankert, können aber je nach Wasserstand auf- oder absteigen. Und das hat auch einen Grund. „Der Lac des Toules ist ein Stausee, die Anlagen werden also nur sieben bis acht Monate im Jahr wirklich schwimmen“, erklärt Fuchs. Die Sonnenanlagen müssen also auch auf dem Land eine gute Figur machen.

Bifaziale Module sorgen für sonnige Spitzenwerte

Doppelt hält besser, so lautet das Motto des Energiekonzerns Romande Energie. Zumindest wenn es um die Module geht. Auf dem Stausee kommen zweiseitige Paneele, so genannten bifaziale Module, zum Einsatz. Sprich: Module werden sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite mit photovoltaischen Zellen ausgestattet. Dadurch kann neben der direkten Sonneneinstrahlung von vorne auch das indirekt von der Wasseroberfläche reflektierte Licht auf der Rückseite genutzt werden – und mehr alpiner Sonnenstrom entsteht.

Das wirkt sich sogar merklich auf die Leistung aus. Laut Fuchs kann mit der alpinen Anlage 50 Prozent mehr Strom erzeugt werden als mit einer vergleichbaren Anlage im Tal. Der gewonnene Strom wird mit hauchdünnen Leiterbahnen aus Silber oder Aluminium abgeführt. Insgesamt 800.000 Kilowattstunden im Jahr wird die Anlage im Gebirge erzeugen – genug Strom für 220 Haushalte.

Resistent gegen Kälte und andere Widrigkeite

Doch wie kann die Anlage bei Gebirgswetter so gute Ergebnisse erzielen? Guillaume Fuchs erklärt: „Auf dieser Höhe sind die UV-Strahlen intensiver.“ Und weiter: „Außerdem reflektieren Wasser und Schnee das Licht zusätzlich.“ Dadurch wird die Effizienz der Module deutlich erhöht.

Die Anlagen trotzen Eis, Schnee, Wind und Temperaturen von –25°C bis +30°C. Sie sorgen rund um die Uhr für sauberen alpinen Sonnenstrom. Das Problem mit dem Eis, das auf dem See bis zu 60 cm dick sein kann, wurde mit Hilfe von Schwimmern gelöst. Wenn die Oberfläche des Sees zu frieren beginnt, heben diese die Konstruktion einfach an. Und sollte Frau Holle Grüße senden: Die Anlage kann bis zu 50 Zentimetern Schnee standhalten. Bei starkem Schnellfall rutscht der Schnee von den im 30-Grad-Winkel stehenden Platten einfach wieder ab. Manche Probleme lösen sich eben einfach von selbst.

Wenn aber die Natur wieder Richtung Sommer zieht, leert sich der Stausee. Die Plattformen sinken zu Boden und produzieren auch bei wärmerem Wetter weiter sonnigen Strom.

Alpiner Sonnenstrom als Zukunft der Photovoltaik?

In den kommenden Jahren wollen Fuchs und sein Team testen, ob ihr Konzept Früchte trägt. Wenn alles nach Plan läuft, sollen bald viel mehr schwimmende Anlagen auf dem Stausee landen. Bis zu 1.000 Inseln könnten in Zukunft mehr als 6.100 Haushalte mit Strom versorgen. Ein ziemlich großes Vorhaben. Aber auch ein notwendiges. Durch die Installation von PV-Anlagen auf Stauseen kann die solare Stromausbeute deutlich erhöht und die Energiewende vorangetrieben werden.

Neben technischen und finanziellen Anforderungen müssen natürlich auch ökologische Umstände beachtet werden. Die Anlage muss optimal in die Umgebung eingegliedert werden und darf die vorhandene Flora und Fauna nicht beeinträchtigen. Denn auch in einem eisigen Stausee auf 1.800 Metern Höhe befinden sich pflanzliche Kleinstorganismen, die am Anfang einer jeden Nahrungskette stehen. Photovoltaik kann nur dann funktionieren, wenn sie im Einklang mit der umliegenden Natur ist. Nur dann kann auch wirklich von einer sauberen Stromerzeugung die Rede sein.

Alpiner Sonnenstrom bietet der Solarbranche also eine große Chance, in Zukunft noch mehr Sonnenenergie produzieren zu können. Trotzdem sollen vorrangig ungenützte Flächen auf dem Land für die Stromerzeugung herangezogen werden. Dennoch gilt: Jede installierte Anlage ist ein Schritt in die richtige Richtung.

✅ TEXT: SANDRA RAINER