24. August 2021
Dürfen wir vorstellen: die Agrophotovoltaik von morgen!

Was nach Science-Fiction klingt, soll dank Sonnenenergie tatsächlich schon bald Realität sein: Lebensmittel aus dem Solarkraftwerk. Ein internationales Forscherteam will dem Welthunger nun jedenfalls mithilfe moderner Anlagen eindrucksvoll den Kampf ansagen.

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Weltweit werden 30 bis 40 Prozent der gesamten Landfläche der Erde für die Landwirtschaft genutzt. Genauer gesagt ernten fleißige Landwirt*innen rund um den Globus etwa 4.700 Millionen Tonnen Lebensmittel und schicken sie anschließend in voll beladenen LKW in alle Himmelsrichtungen. Genügend Nahrung, um jeden Menschen satt zu kriegen, oder? Die Realität sieht leider anders aus: Bis zu 811 Millionen Menschen hungern, über zwei Milliarden leiden an Mangelernährung. Überteuerte Lebensmittel, Verschwendung, Flächennutzungskonflikte haben laut Expert*innen daran genauso viel Schuld wie die voranschreitende Klimakrise.

Saubere Stromerzeuger können zwar unsere Umwelt schützen, doch inwiefern sollen sie nun dieses komplexe Hungerproblem lösen? Die vielversprechende Lösung: eine neuartige Form der Agrophotovoltaik. Dazu nehme man Sonnenlicht, Kohlendioxid aus der Luft, Wasser, ein paar Nährstoffe und – voilà! – schon hat man ein komplett nachhaltiges Lebensmittel in Form von mikrobiellen Proteinen geschaffen. Ganz so einfach ist das Vorhaben freilich nicht. Anhand einer Computersimulation präsentierten Forscher*innen nun allerdings das Potenzial der sogenannten mikrobiellen Landwirtschaft. Diese soll den Welthunger lindern und obendrein noch das Klima schützen.

Was ist nachhaltiges Eiweiß?

Mikroben werden von vielen Ernährungsexpert*innen längst als Nahrungsmittel der Zukunft angepriesen. Mikrobielles Eiweiß ist genau das, was man sich mehr oder weniger auch darunter vorstellt: winzige lebende Materien in Form von Algen, Hefe, Pilzen oder Bakterien. Klingt nicht gerade nach einem Besuch im 4-Hauben-Lokal. Allerdings überzeugen Mikroben mit einem sehr hohen Proteingehalt von bis zu 70 Prozent. Zum Vergleich: Rindfleisch liefert etwa 60 Prozent Eiweiß, Eier 50 Prozent.

Dorian Leger von der Universität Göttingen erklärt: „Wir gehen davon aus, dass mikrobielles Eiweiß auch als Nahrungsergänzung von Nutzen sein wird, da es eine hochwertige Eiweißquelle darstellt, die alle essenziellen Aminosäuren sowie Vitamine und Mineralien enthält.“ Aber von vorne: Diese proteinreichen Mikroben müssen erst einmal gezüchtet werden. Und genau hier kommt das ausgeklügelte Konzept des Forscherteams ins Spiel. Eines vorweg: Photovoltaikanlagen spielen bei der Mikroben-Zucht eine wichtige Rolle.

So funktioniert Future-Farming:

Was wir bereits wissen: Für die Mikroben-Produktion braucht es genügend Sonnenenergie, also Photovoltaikanlagen. Diese bekommt man inmitten eines zukunftsweisenden Solarparks freilich zur Genüge. Sonnenenergie wird hier schließlich in elektrische Energie umgewandelt. Gehen wir aber einen Schritt weiter: Für die Herstellung der nachhaltigen Proteine wird genau diese elektrische Energie in chemische Energie umgewandelt. Und zwar indem einfache Moleküle, sogenannte Elektronendonatoren, erzeugt werden. Diese unterstützen wiederum das mikrobielle Wachstum und – tada! – eine proteinreiche Biomasse ist entstanden.

Herkömmliche Nahrungsmittelproduktion und neu gedachtes System im Vergleich.

Die Biomasse wird geerntet und anschließend zu einem Pulver verarbeitet. Dieses kann sowohl als Futtermittel für Tiere als auch als Nahrungsmittel für Menschen genutzt werden, so zumindest der Plan des Teams. „Die derzeitigen Anbaumethoden tragen weltweit zur Verschmutzung der Ökosysteme und zur Erschöpfung der Wasserreserven bei“, erklärt Dorian Leger. Diese neuartige Form der Nahrungsmittelproduktion wäre eine nachhaltige und ressourcenschonende Alternative zur traditionellen Anbaumethode.

Mehr Protein, weniger Flächenverbrauch

Die durchgeführten Computersimulationen haben jedenfalls gezeigt, dass die durch Photovoltaikanlagen aktivierten Mikroben im Vergleich zur effizientesten Pflanzenkultur, der Sojabohne, für jedes produzierte Kilo Protein nur zehn Prozent der Landfläche benötigen. Das Beste: Selbst dort, wo sich die Sonnenstunden in Grenzen halten, könnten Erträge von solarbetriebenen mikrobiellen Nahrungsmitteln die von herkömmlichen Grundnahrungsmitteln bei Weitem übertreffen. Gleichzeitig könnte der Wasser- und Düngemitteleinsatz minimiert werden.

Landwirtschaft und Photovoltaik vereint: Sieht so die Agrophotovoltaik der Zukunft aus?

Für einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck analysierte das Forscherteam daher selbstverständlich jeden einzelnen Produktionsschritt der Simulation. Also: die Photovoltaik-Stromerzeugung, die elektrochemische Herstellung des energiereichen Substrats für die Mikroben, die Kultivierung der Mikroben, die Ernte und die Verarbeitung der proteinreichen Biomasse.

Mit Sonnenenergie gegen den Welthunger kämpfen?

Die Forscher*innen denken die moderne Landwirtschaft noch weiter. Mithilfe des gesammelten Wissens könnte das Future-Farming auch in Regionen stattfinden, die für landwirtschaftliche Aktivitäten völlig ungeeignet sind, wie etwa Wüsten. Und eben genau dort leiden unzählige Menschen an Hunger. Mithilfe der Mikroben-Zucht könnten dort in Zukunft also genügend proteinreiche Lebensmittel für die Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden.

Die saubere Stromerzeugung mithilfe von Solaranlagen kann das weltweite Hungerproblem zwar nicht komplett stoppen, sie würde aber mit Sicherheit viele Menschenleben schützen – unsere Umwelt sicherlich auch. „Durch die Umstellung auf die neue Methode könnten riesige Flächen frei werden, und darüber hinaus die weitere Zerstörung natürlicher Ökosysteme verhindert werden.“ Na dann: Auf den Acker, fertig, los!

✅ TEXT: SANDRA RAINER
✅ FOTOS & DARSTELLUNGEN: UNSPLASH/Lucas George Wendt; Universität Göttingen