14. Juni 2021
AlpinSolar: solare Power von der Staumauer

Noch diesen Sommer soll in den Schweizer Alpen das größte alpine Solarkraftwerk des Landes fertiggestellt werden. Die 2,2-Megawatt-Anlage wird knapp 2.500 Meter über dem Meeresspiegel direkt an der Muttsee-Staumauer installiert.

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Es ist wohl die Suche nach dem Adrenalinkick, die Menschen aus aller Welt in die Glarner Alpen in der Schweiz zieht. Oder die Jagd nach dem perfekten Instagram-Foto. Über die Social-Media-Kanäle diverser Influencer und Influencerinnen erlangte der Limmernsee im Sommer 2019 jedenfalls gewisse Berühmtheit. Ein Foto vom Muttenchopf auf den gut 600 Meter tiefer liegenden Stausee belohnen seither viele Wanderbegeisterte mit zahlreichen Likes, Shares und Kommentaren. Die Fotos unter dem Hashtag #limmernsee zeigen aber nicht nur die prächtige Berglandschaft, sondern auch das beeindruckende Pumpspeicherwerk Limmern und die dazugehörige Muttsee-Staumauer. Letztere ist übrigens die höchstgelegene Staumauer Europas – mit 1.054 Metern obendrein auch die längste der Schweiz.

Nun kommt genau dort ein weiterer Rekord obendrauf: Noch diesen Monat werden die Arbeiten an einem fast einen Kilometer breiten Solarkraftwerk auf der Staumauer des Wasserkraftwerks beginnen. Dass es sich hierbei um eine technische und logistische Herausforderung handelt, liegt freilich auf der Hand.

Sonnenernte auf 2.500 Meter

Aber was ist eigentlich Sinn der Sache? Eine Photovoltaikanlage produziert umweltfreundlichen Sonnenstrom – allerdings nicht immer gleichmäßig. Das liegt allerdings nicht, wie viele vermuten, an der Wärme der Sonne, sondern an dem vielen und starken Licht, das bei starker Sonneneinstrahlung auf die Module trifft. Und genau hier beginnt das Erfolgskonzept des alpinen Solarkraftwerks des Schweizer Energiekonzerns Axpo.

Aufgrund der dünnen Luft- und Wolkenschicht nimmt die Sonneneinstrahlung in luftiger Höhe deutlich zu. Genauer gesagt steigt die Intensität der UV-Strahlung pro 1.000 Höhenmeter um circa 15 bis 20 Prozent. Zusätzlich wirkt der sogenannte Albedo-Effekt: Die Rückspiegelung des Lichts vom Boden sorgt für eine deutliche Steigerung der Stromausbeute.

Mehr Leistung dank natürlicher Kühlung

Ein weiterer Vorteil der alpinen PV-Anlage an der berühmten Staumauer ist laut Axpo die steile Neigung der Module. Diese sind im Winkel von 51 Grad beziehungsweise sogar 65 Grad geneigt. Hinzu kommt, dass die Staumauer optimal zur Sonne, also nach Südsüdost und Südsüdwest, ausgerichtet ist. Natürlich muss in solchen Höhenlagen selbst in den Sommermonaten mit Schneelasten gerechnet werden. Aus diesem Grund kommen für das Megaprojekt sogenannte bifaziale Glas-Glas-Module des Schweizer Herstellers Megasol zum Einsatz. Auf ihnen kann der Schnee schnell und einfach von selbst abrutschen. Die unteren fünf Meter der Staumauer bleiben jedenfalls für potenzielle Schneeablagerungen frei.

Gut zu wissen: Der Beton der Staumauer wirkt aufgrund seiner Beschaffenheit thermisch ausgleichend. Er funktioniert wie eine natürliche Kühlung und Hinterlüftung für installierte Module, deren Wirkungsgrad dadurch weiter erhöht werden kann.

Auch im Winter Sonnenstrom

Die höchsten Stromerträge der der alpinen PV-Anlage an der Staumauer werden im Februar und März erwartet, insgesamt soll die Energieleistung jedoch über das gesamte Jahr relativ ausgeglichen sein. Sprich: Auch in den Wintermonaten soll kräftig Sonnenenergie getankt werden – ganz im Gegenteil zu vergleichbaren Anlagen im Schweizer Mittelland. Dort entfällt laut Grünstromerzeuger Axpo nur etwa ein Viertel der Erzeugung auf das Winterhalbjahr.

Rekord-Solarkraftwerk in nur drei Monaten

Bevor die PV-Anlage an der Muttsee-Staumauer jedoch für eine anschauliche Stromausbeute sorgen kann, muss sie erst einmal installiert werden. Der Zeitplan ist straff: Zwischen Mitte Juni und Mitte September 2021 soll die Anlage errichtet werden. Unter optimalen Bedingungen kann das Solarkraftwerk laut Baukonzern innerhalb von 35 bis 40 Arbeitstagen installiert werden. Mithilfe eines eigens entwickelten Montagesystems werden die rund 5.000 Solarmodule dabei direkt auf der Staumauer angebracht. Nach Fertigstellung soll die Anlage rund 3,3 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich produzieren – die Hälfte davon im Winter.

PV-Anlage Staumauer
Das alpine Solarkraftwerk soll noch dieses Jahr Grünstrom produzieren.

Per Hubschrauber

Der Transport der Anlagenkomponenten in alpiner Höhe gestaltet sich jedoch als äußerst komplex. „Logistisch ist der Bau ein beinahe wagemutiges Unterfangen“, erklärt Claudius Bösiger, Geschäftsführer des Projektpartners Planeco. Er fügt hinzu: „Denn das Wärterhaus der Hydroanlage Limmern ist zwar das ganze Jahr durchgehend erreichbar, doch gibt es keine Straße, die für den An- und Abtransport von Material und Personal genutzt werden kann.“

Doch auch hier hat Axpo eine clevere Lösung gefunden: Die Bauteile werden einfach per Hubschrauber zur Staumauer transportiert. Aber der Reihe nach. Zunächst werden insgesamt 730 Tonnen Material in die benachbarte Gemeinde Tierfehd geliefert. Dort werden die Bauteile erst zerlegt und dann in Einzelteilen hochgeflogen. Aber halt: Sorgt solch ein Luftfahrzeug nicht für eine jede Menge Lärm?

Um die Lärmbelastung für die lokale Bevölkerung so gering wie möglich zu halten, sind laut dem Energieunternehmen in Kooperation mit der betroffenen Gemeinde optimale Flugzeiten sowie An- und Abflugkorridore festgelegt worden. Und auch die Umwelt wird geschützt: Immerhin soll der zwangsläufig größere CO₂-Fußabdruck, der durch den Einsatz des Helikopters entsteht, innerhalb von nur drei Monaten Anlagenbetrieb wieder ausgeglichen werden.

Wartungsarbeiten in der Höhe

Doch was tun, wenn die PV-Anlage an der beeindruckenden Staumauer mal nicht funktioniert? Laut Projektbeschreibung sind regelmäßige visuelle Überprüfungen für die Gewährleistung der Sicherheit unabdinglich. „Die Mauer muss für Techniker*innen gut erreichbar sein, auch bei Notfällen – wie bei einem Erdbeben“, stellt Christian Heierli, Projektleiter AlpinSolar bei Axpo, klar. Aus genau diesem Grund werden die Solarmodule „mit einem Abstand von 1,5 Metern zur Mauer gebaut“, wie es vonseiten des Unternehmens heißt. Dank eines Wartungsgangs zwischen den Modulen und der Staumauer sollen die Solarmodule jederzeit zugänglich sein.

Vorzeigeprojekt in den Bergen

Mit der Realisierung des spannenden Projekts soll mehr Aufmerksamkeit auf die voranschreitende Energiewende gerichtet werden. Bereits seit 1968 wird der Schweizer Muttsee als Teil des Pumpspeicherwerks Limmern genutzt. Dass die vorhandene Fläche nun für solare Stromerzeugung genutzt wird, begeistert Fachleute weltweit – und zeigt wieder einmal eindrucksvoll, wo Grünstromerzeuger*innen überall für saubere Energie sorgen können.

✅ TEXT: SANDRA RAINER
✅ FOTOS: ALPINSOLAR
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