13. Mai 2021
Die Griechen sind schon Reif für die grüne Insel

Am Rande der Ägäis liegt der Dodekanes, eine ziemlich entlegene griechische Inselgruppe. Eine der zwölf Hauptinseln sorgt für ein wahres Ökowunder: Die 500-Seelen-Insel Tilos ist die erste energieeffiziente Insel im Mittelmeer.

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Auch wenn er jetzt in der kalten und grauen Jahreszeit noch weit entfernt ist: Der nächste Sommer kommt bestimmt. Und sobald es die derzeitige Situation zulässt, zieht es wohl auch wieder zig Menschen Richtung Sommer, Sonne und Meer. Kleiner Tipp: Ab auf die noch relativ unbekannte Insel Tilos! Denn wer hier Urlaub macht, erlebt bestimmt sein grünes Wunder. Die Insel zwischen Rhodos und Kos ist nicht nur Paradies für unzählige Tier- und Pflanzenarten, sondern seit Kurzem auch für Grünstrom. Tilos ist die erste energieautarke Insel im Mittelmeer.

Richtig gelesen: Die rund 62 km² große Insel soll tatsächlich in der Lage sein, sich völlig selbstständig mit eigener Wind- und Solarenergie zu versorgen. Das EU-geförderte Forschungsprojekt Horizon 2020 macht es möglich. Ziel des Projekts ist es, die Forschung und Entwicklung auf der Insel zu fördern und die Energieversorgung komplett auf Grün zu schalten. Dadurch kann der Kohlenstofffußabdruck der Insel deutlich reduziert werden. Und auch die Bevölkerung profitiert. Denn das Projekt soll Energiekosten senken und das lokale Wachstum der Gemeinschaft vorantreiben. Wir machen uns auf die (virtuelle) Reise ins sonnige Griechenland und nehmen die grüne Insel Tilos genauer unter die Lupe.

Tilos graue Vergangenheit

Die griechische Energieversorgung gilt als extrem veraltet. Konventionelle Kraftwerke prägen das Landschaftsbild. Kein Wunder, hat doch seit der Finanzkrise kein anderes EU-Land so wenig in eine nachhaltige Energieversorgungsstruktur investiert wie Griechenland. Auf der Insel Tilos steht zwar kein Kraftwerk, sauberen Strom bekommen die Einwohner*innen trotzdem keinen. Genauer gesagt kommt der Strom durch ein Unterwasserkabel von der benachbarten Insel Kos. Man kann es sich schon denken: Dort steht ein großes Dieselkraftwerk.

Besonders sinnvoll ist diese Versorgungsstrategie natürlich nicht. Zum einen stellen konventionelle Energieträger eine enorme Belastung für Umwelt und Klima dar. Zum anderen kommt es auf Tilos immer wieder zu Stromausfällen. Grund: Tektonische Verschiebungen am Meeresboden strapazieren das Unterseekabel und legen die Stromversorgung der Insel komplett lahm. Damit soll jetzt Schluss sein. Die Insel von Morgen produziert ökologisch-nachhaltigen Strom. Die benötigten Ressourcen, wie etwa Wind und Sonne, stehen dem Land nahezu unbegrenzt zur Verfügung.

Gemeinsam für eine grüne Heimat

Maria Kamma, Bürgermeisterin auf Tilos, erkannte das grüne Potenzial. Gemeinsam mit den Einwohner*innen und dem Energiekonzern Eunice Energy Group (EEG) entwickelte sie das sogenannte TILOS-Project, eine Initiative für eine völlig saubere Energieunabhängigkeit der Insel. Mit Erfolg: Das einst kleine Projekt wurde Teil des großen europäischen Forschungsprojekts Horizon 2020.

Insgesamt wurde Kamma und ihren fleißigen Helfer*innen ein Budget von 11 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Mit genügend Geld und reichlich Motivation wurde der Wunsch von einem sauberen Tilos tatsächlich in die Tat umgesetzt. Kamma lobt dabei vor allem die Bereitschaft der Bevölkerung: „Normalerweise ist es für eine winzige Inselgemeinde schwer, mit der Tradition zu brechen, aber auf Tilos haben wir immer Alternativen begrüßt.“ Und auch Spyros Aliferis, Projektmanager der EEG, ist optimistisch: „Mit diesem ‚kleinen‘ Projekt können wir uns alle versorgen.“

Ein hybrides Kraftwerk versorgt die ganze Insel

Hauptziel der TILOS-Initiative war die Schaffung des ersten hybriden Kraftwerks Griechenlands. Mit dem sogenannten Hybrid Power System erfolgt die Stromerzeugung zu mindestens 75 Prozent frei von fossilen Brennstoffen. Der hybride Stromerzeuger besteht aus einer 800 kW starken Windkraftanlage und insgesamt 592 Photovoltaikmodulen. Damit kann der komplette Strombedarf der Insel gedeckt werden – auch wenn in der Hochsaison Hotelbetten gefüllt sind.

Die größte Herausforderung war die Entwicklung effizienter und robuster Speichersysteme. Denn auch die Stromakkus müssen hybrid arbeiten. Sprich: Sie müssen auch für konventionellen Strom genutzt werden können. Das Forschungsteam entwickelte ein optimiertes Energiemanagementsystem, das diesen Anforderungen gerecht wird. „Die Energie wird in Hightech-Batterien gespeichert, sodass sie bei Bedarf ins Netz eingespeist werden kann“, bestätigt Spyros Aliferis. Die Rede ist von sogenannten S4S (storage for sustainability, smart grid, solutions, security). Mithilfe der Speicher ist Grünstrom rund um die Uhr beziehbar. Außerdem können andere Inseln mitversorgt werden.

Auf der Insel will man mehr

Maria Kammer sieht ihre Insel als Leuchtturmprojekt, welches viele andere Regionen zum Umdenken anregen kann. Sie ist überzeugt: „Wir wollen mildes Wachstum für diese Art von Energie. Fazit: Jede Insel kann diese Energiequellen nutzen, um sich selbst zu versorgen und sich so von den umweltschädlichen Energiequellen zu befreien.“

Kammer will den grünen Weg weiter gehen. Nächster Schritt: die Installation von solarbetriebenen Straßenleuchten und der Umstieg auf E-Autos und E-Roller. Die Insel soll in Zukunft hundertprozentig sauber sein. Davon ist zwar heute noch nicht ganz die Rede, die Richtung jedoch stimmt. Denn die energieeffiziente Stromversorgung macht die Insel nicht nur sauber, sondern auch zum möglichen Touristenmagnet. Schließlich ist ein stabiles Netz Muss für einen entspannten Urlaub. Genau damit kann Tilos nun auf alle Fälle überzeugen.

✅ TEXT: SANDRA RAINER
✅ FOTOS: TILOS PROJECT